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Du bist unschuldig!

“Und vergib uns unsere Schuld!” beten Christen im Vaterunser.  Wir lernen es schon früh, uns schuldig zu fühlen. Schuldgefühle gehören zum mentalen Inventar der westlichen Zivilisation. Uns wird fortlaufend eingeredet, dass wir uns für alles Mögliche und Unmögliche schuldig zu fühlen haben. Auch wenn sich die meisten inzwischen von Gottes Zorn befreit haben, enthält der Kanon des politisch Korrekten weitaus umfangreichere Regeln als Moses Gesetzestafeln. 

Dem Kapitalistenschwein fällt zu alledem nur eine einzige Frage ein:

Kann Reue etwas ungeschehen machen?

Was getan ist, ist getan! In diesem Bewusstsein sollte ich meine Handlungen um so sorgfältiger überdenken, das ist genau das Gegenteil von emotional agieren. Bei aller Sorgfalt werde ich trotzdem immer mal wieder anderen Menschen auf die Zehen treten. In dem Fall bitte ich artig um Verzeihung und mache den Schaden wieder gut, wenn das möglich ist. Mehr kann ich nicht tun.

Schuld ist eine völlig nutzlose Emotion!

Sehr oft löse ich mit diesen Satz Entrüstung aus. Die meisten meiner Mitmenschen sind nämlich wahre Schuldautomaten, die auf den Einwurf einer passenden Münze zuverlässig mit Gewissensbissen reagieren. 

Sie fühlen sich schuldig, wenn sie einen saftigen Burger mit Fritten essen. Wegen der Kalorien, wegen der vernichtenden CO2-Bilanz von Rindfleisch und insgesamt deswegen, weil sie etwas zu essen haben, während woanders Menschen verhungern. 

Sie fühlen sich sogar noch schuldig für Dinge, die sie nicht einmal selbst getan haben. Um das Maß des Wahnsinns voll zu machen, ist es in Deutschland geradezu moralisch verpflichtend, sich für Verbrechen schuldig zu fühlen, die lange vor unserer Geburt passiert sind. 

Es gilt als schlecht, sich nicht schuldig zu fühlen. Wer sich nicht schuldig fühlt, ist nicht emphatisch. Wer sich nicht mit Neurosen plagt, kann kein wohlmeinender Mensch sein. 

Ich sage bewußt Neurosen, denn wie sollte ich es sonst nennen, wenn sich Menschen ihres Menschseins schämen? Wenn sie meinen, der Welt würde es ohne Menschen besser gehen. Seid Ihr eigentlich völlig irre?

Nochmal zum Mitschreiben, am besten hundert Mal: 

Die Geschichte läßt sich selbst durch den verschwenderischsten und selbstzerstörerischsten Aufwand an Schuldgefühlen nicht mehr ändern.“

Aus der Vergangenheit lernen

Das ist das Einzige, was wir tatsächlich tun können, doch selbst dabei sind Schuldgefühle hinderlich. Sie verursachen eine Art innerlicher Lähmung, dadurch dass wir uns immer wieder mit den gleichen Ereignissen in der Vergangenheit befassen. 

Im Strudel der Gedanken gefangen, handeln wir weiter nach erlernten Mustern, anstatt die Gegenwart bewußt zu erleben und dieses konkrete Erleben zur Grundlage unserer Entscheidungen zu machen. 

Wenn wir aus unseren Fehlern lernen wollen, müssen wir sie eben nicht nur kennen, sondern auch vermeiden sie zu wiederholen.  Allzu leicht tappen wir, unbewusst, immer wieder in die gleiche Falle.

Es ist gesund und notwendig aus Fehlern zu lernen. Damit wir das tun können müssen wir uns jedoch zuerst einmal selbst verzeihen, diese Fehler begangen zu haben. Erst dann können wir sie nüchtern betrachten und es in der Gegenwart besser machen. Nicht in der Zukunft, sondern jetzt gleich.

Woher kommen Schuldgefühle?

Wie nahezu jeder seelische Ballast, hat auch ein Teil unserer Schuldgefühle seinen Ursprung in der Kindheit. Wem damals das Gefühl vermittelt wurde, ständig alles falsch zu machen und mit diesem Verhalten Vater und Mutter Sorgen zu bereiten, hat oftmals lebenslänglich darunter zu leiden.

Einen weiteres Bündel von Schuldgefühlen, können wir uns jedoch auch selbst auferlegen. Zum einen, indem wir gegen fremde Normen verstoßen und uns dafür schlecht fühlen. Zum anderen jedoch auch,  wenn wir daran scheitern, selbst gesetzten Normen zu genügen, von denen wir nicht ganz überzeugt sind.

Die lieben Eltern

Sie sind die ersten, mit denen wir zu tun bekommen und sie sind auch die ersten, die uns im Rahmen der Erziehung schamlos Schuldgefühle verursachen. Meist sogar völlig unbewußt, weil sie es selbst so erleben mussten. Wenn wir die Muster nicht erkennen, bleiben wir darin gefangen und vererben sie an die folgende Generation.

„Was haben wir nicht alles für dich getan! Ist das also dein Dank dafür?“ Wer kennt nicht solche Sätze? Das sind die Münzen, die in den Schuldautomaten geworfen werden und zuverlässig erreichen, dass wir uns schlecht fühlen. Um das zu vermeiden, tun wir dann Dinge, die wir eigentlich nicht tun wollten. Das kann uns sehr lange verfolgen „Deinetwegen ist mein Blutdruck wieder gestiegen“ und „Du bringst mich noch ins Grab!“ 

Irgendwann ist es dann tatsächlich so weit und besonders unglückliche Menschen fühlen sich auch tatsächlich noch für den Tod der Eltern verantwortlich.

Schule und Ausbildung

Lehrer sind ebenfalls sehr gut darin, Schuldgefühle zu erzeugen. Ihre Schüler sind ausgezeichnete Manipulationsobjekte. 

„Du hast einen Fünfer geschrieben, weil du nichts gelernt hast. Das musst du jetzt mit dir selber ausmachen!“ In der Schule wird häufig mit solchen Phrasen gearbeitet, um die Kinder zum Lernen, oder bestimmten Verhaltensweisen zu veranlassen.

Wenn du mich wirklich liebtest…

Mit diesem Vorwurf erpressen uns unsere Liebsten. Will ich meinen Partner für irgendwas bestrafen, kommt diese Taktik nur allzu gelegen. Auch diesen Satz dürfte jeder von uns kennen. Als ob Liebe vom „richtigen“ Verhalten abhängen würde. 

Doch egal ob Mann oder Frau, beide Geschlechter bedienen sich dennoch nur allzu gerne der Erzeugung von Schuldgefühlen, um ein bestimmtes Verhalten zu erpressen. Meist funktioniert es auch wunderbar. Jedenfalls so lange, bis die Beziehung in Trümmern liegt. 

Wir sind ja schließlich auch irgendwann einmal aus dem Elternhaus ausgezogen. Niemand läßt sich gerne auf Dauer emotional erpressen.

Religion und Wokeness

Die Menschen waren schuld an ihrer Vertreibung aus dem Paradies. Gott ist sozusagen der Vater aller Schuldgefühle. Und er war ständig enttäuscht von uns. Irgendwann waren die Menschen das leid und sie haben sich von ihm abgewandt, seine Prediger stehen in leeren Kirchen und betteln um Aufmerksamkeit. Doch sind wir dadurch frei von Schuld geworden?

Pustekuchen, wir haben uns binnen weniger Jahrzehnte die neue Religion der „Guten Gesinnung“ geschaffen. Der politisch korrekte Mensch kann sich wegen einer unglaublichen Vielzahl von Dingen schuldig fühlen. 

Die Kultur der Industriestaaten ist puritanisch geprägt und alles, was Spaß macht, verursacht uns tendenziell noch immer Schuldgefühle. Kein Wunder, dass die Grünen als neue, hochmoralische, Instanz triumphieren und reichlich neue Schuldgefühle liefern. „How dare you?“ Fragt ein wütender Teenager aus Schweden und die Welt fühlt sich beflissen schuldig. 

Ich selbst müßte mich wegen Transphobie geißeln. Nur weil ich keinen Sex mit einer Transgender Frau haben möchte. Ich stehe aber auch nicht auf S/M. Als alter weißer Mann, kann ich Witzchen darüber machen, doch mir tun die jungen Menschen leid, die mit so einem Mist indoktriniert werden. Die nehmen das ernst und fühlen sich schuldig und desorientiert.

Der Staat

Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, Vater Staat bedient sich am gnadenlosesten der Verursachung von Schuldgefühlen. 

Tausende von Gesetzen und Verordnungen legen uns unzählige Pflichten und Verbote auf und jedes einzelne davon ist mit einer Sanktion belegt. Allein die Angst davor, aus Versehen eine dieser vielen Regeln zu brechen, verursacht bereits Bedrückung. 

Doch wehe dem, der tatsächlich einen Verstoß begangen hat. Die Konditionierung ist so perfekt, dass er vor lauter Schuldgefühlen oftmals keinen Schlaf mehr findet. So lange, bis er sich selbst anzeigt und endlich seine Buße auferlegt bekommt. 

Echte Kriminelle kennen das natürlich nicht, Schuld ist nur etwas für brave Bürger.

Erste Schritte in die Freiheit

Die Lösung des Problems liegt im Erkennen der Muster, die uns schuldig fühlen lassen. Erst dann können wir damit beginnen, den Schuldautomaten abzustellen. 

Die folgenden Übungen habe ich aus dem Klassiker „Der wunde Punkt“ des amerikanischen Psychiaters Wayne Dyer übernommen. 

  1. Beginne, die Vergangenheit als unveränderbar zu betrachten. Kein, noch so großes, Schuldgefühl wird ein Jota daran ändern.
  2. Frage dich, ob dein Suchen in der Vergangenheit nicht dazu dient, einem Problem in der Gegenwart aus dem Weg zu gehen. Wenn es so sein sollte, löse dieses Problem!
  3. Beginne dein Verhalten zu akzeptieren, auch wenn es bei anderen auf Ablehnung stößt.  
  4. Schreibe dir auf, in welchen Situationen du dich schuldig gefühlt hast. Das wird dir Erkenntnisse über die Entstehung deiner Schuldgefühle einbringen.
  5. Überprüfe dein Wertesystem. Wovon bist du selbst wirklich überzeugt und was akzeptierst du nur, um nicht unangenehm aufzufallen. Folge nur noch deinen eigenen Wertvorstellungen.
  6. Schreib alle Missetaten deines Lebens auf und vergib für jede Tat Punkte, je nach ihrer Schwere. Zähle die Punkte zusammen und überlege dir dann, ob es im gegenwärtigen Augenblick den geringsten Unterschied macht, ob du nun 100 Punkte, oder 1.000.000 Punkte hast. Tut es natürlich nicht und deswegen sind Schuldgefühle vergeudete Energie. Anschließend vernichte die Liste, bevor sie jemand anders in die Hände fällt!
  7. Zeige den Menschen, die dich manipulieren möchten, dass du gut mit ihrer vorgeblichen Enttäuschung leben kannst. Lass sie freundlich aber bestimmt auflaufen.
  8. Tue hin und wieder etwas, von dem du weißt, dass es dir Schuldgefühle verursachen wird. Gib kein Trinkgeld, wenn du nicht wirklich mit dem Service zufrieden warst, oder lass ein Essen zurückgehen, das nicht schmeckt. Fahre eine Woche allein in Urlaub. 

Erlaube dir, ganz bewußt ein paar unsinnige Regeln zu brechen. Doch nimm bitte irgend etwas, das niemandem schadet!

Denn, Befreiung von Schuldgefühlen bedeutet keineswegs, dass du dich in einen skrupellosen Psychopaten verwandeln solltest. Die Regeln des menschlichen Zusammenlebens gelten natürlich weiter. Wir haben nur gelernt zu unterscheiden,

welche davon ethisch geboten sind und welche davon aus einem Zeitgeist heraus entstanden sind. Sie sind wie eine Mode, du kannst sie mitmachen, du lebst jedoch glücklicher, wenn du dich ihrem Diktat nicht unterwirfst.

Es ist weitgehend deine Entscheidung, welche Werte du in deinen persönlichen Kanon aufnimmst. Du wirst es jedoch auf keinen Fall schaffen, diesen Anforderungen immer zu genügen. Niemand ist unfehlbar! Verzeih dir selbst und achte dann einfach noch genauer auf deine Handlungen.

Wenn du im Einklang mit deinen Werten handelst und dir Versagen schnell verzeihst, empfindest du keine Schuldgefühle. Dann können auch andere dein Verhalten nicht manipulieren, indem sie dich emotional erpressen. 

Dein Leben ist viel zu kostbar, als dass du es dir auf diese Art versauen lassen solltest. 

Benedikt Lechner

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