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Ich habe keine Meinung dazu

Brauchen wir eine Impfpflicht? Wer ist schuld, am Krieg in der Ukraine? Ist der Menschengemachte Klimawandel eine Tatsache, oder Hirngespinst grüner Politiker? 

Das sind nur ein paar der vielen Fragen, zu denen du Anfang März 2022 eine Meinung haben solltest. Als politisch gebildeter Mensch wirst du zu all diesen Fragen sofort eine Antwort parat haben und wirst diese dann auch vehement gegen alle Anders-Meinenden verteidigen.

Doch solltest du das wirklich? Ich sage mal gerade heraus: nein, vergiss es!

Diese ganzen Sachverhalte sind doch viel zu kompliziert, um spontan entscheiden, was falsch oder richtig ist. Dir fehlt dazu einfach jede Menge Wissen. In einer Zeit, in der wir jede Information zudem erst einmal einem „Faktencheck“ unterziehen müssen, gerät es doch zu einem geradezu unlösbaren Problem, sich eine halbwegs auch nur halbwegs fundierte Meinung zu bilden. An die meisten Hintergründe kommen wir nämlich erst gar nicht heran. 

Wer meint, glaubt nicht und weiss nicht

Laut Definition hält eine Meinung etwas für wahr, ohne dafür jedoch subjektive oder objektive Gründe zu haben. Der Glauben, hält subjektiv etwas für wahr, ohne objektive Gründe nennen zu können. Das Wissen dagegen, hält etwas für wahr, weil es ausreichende, objektive, Gründe für die Richtigkeit der Annahme gibt.

Meinen ist ein mit Bewusstsein sowohl subjektiv als objektiv unzureichendes für wahr halten.“

– Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft.

Damit ist eine Meinung nichts anderes, als ein willkürlich angenommener Glaube. 

Wer an Gott glaubt, ist wenigstens fest von dessen Existenz überzeugt, wer dagegen nur meint, dass es Gott gibt, wird sich genau so schnell vom Gegenteil überzeugen lassen. Meinungen haben fast immer ein Verfallsdatum.

Anfang März 2025 werden wir demnach zu ganz anderen Dingen nach unserer Meinung gefragt werden. Wetten, dass? 

Die Sache mit dem Affekt

Hier spielt uns wieder mal unser unreflektiertes Primatenhirn einen Streich. Wir handeln im Affekt. Ein Affekt ist ein spontanes, eindimensionales Gefühl, das nur zwei Ausprägungen kennt: Gefällt mir, oder gefällt mir nicht. 

Daher werden wir unsere Meinungen spontan, nach jeweiliger Gefühlslage bilden und erst anschließend nach Argumenten suchen, um diese zu untermauern. 

Wenn es darum geht, ob ich die Stinkfrucht Durian mag oder nicht, ist diese Vorgehensweise völlig in Ordnung. Meine Meinung ist dann, rein subjektiv, „mmmm lecker“, oder „bäähhh, stinkt“. Damit kann jeder leben.

Leider sind die meisten Vorgänge in der Welt ungleich komplexer. In den allermeisten Fällen wird sich nicht einmal unter Berücksichtigung sämtlicher relevanten Fakten eine „Richtig oder Falsch“ Aussage treffen lassen. 

Professionelle Meinungsmacher nutzen diesen Mechanismus ganz bewußt aus und füttern unser Affenhirn mit den Informationen, welche den jeweils gewünschten Affekt auslösen. 

Erinnert ihr euch noch an die Gräuelgeschichte mit den getöteten Babys in Kuwait, welche die öffentliche Meinung für den ersten Irakkrieg geprägt hat? Später hat die Zeugin, Tochter eines Diplomaten, zugegeben, dass alles gelogen war. Ebenso wie die Massenvernichtungswaffen im zweiten Irakkrieg. Und, und, und… Es wird sehr viel gelogen, wenn es darauf ankommt Stimmungen zu schaffen.

Horch doch einfach mal in dich hinein und versuche, deine Emotionen zu einem bestimmten Thema ausfindig zu machen. Schreib deine Meinung zu dieser Frage, auf einen Zettel und liste darunter alle Argumente auf, die dafür sprechen, dass sie „richtig“ ist. Anschließend notiere neben jedem Argument die Quelle, von der du es übernommen hast. 

Ich habe bei diesem kleinen Experiment festgestellt, dass mir sehr oft gar keine eindeutige Quelle dazu einfällt, dass ich Gründe rein nach Hörensagen annehme. „Das weiß man doch einfach!“ Weiß man wirklich? Jedes Mal, wenn ich mir das sage, muss ich doch befürchten, Opfer einer Manipulation geworden sein.

Es ist ziemlich einfach, Meinungen zu machen. Um so weniger solltest du auf sie geben. Nicht einmal auf deine eigene.

Wer kann das schon wissen?

Mal ganz ehrlich, die meisten großen Fragen sind schlichtweg nicht seriös zu beantworten. Wann kommt endlich der große Börsencrash? Gibt es Paralleluniversen? Wie lange hält unser eigener Planet noch durch?

Es hat sich eine ganze Industrie gebildet, die versucht solche Fragen beantworten zu wollen und nahezu jeder fühlt sich befleißigt, eine eigene Meinung zu diesen Fragen zu haben. Natürlich wird er diese auch jederzeit vehement zu verteidigen.

Was für ein Unsinn. Niemand kann den Lauf der Dinge zuverlässig vorhersagen und erst recht kann ihn niemand beeinflussen. Das Ganze ist für die Katz, vergebliche Liebesmüh, vergeudete Lebenszeit!

Es dient allerdings unserer Eitelkeit, besser „Bescheid wissen“ zu wollen, als unser Nächster. Wer sonnt sich nicht gerne im Glanze seiner besseren Informationen, seines tieferen Einblicks und seines besseren Verständnisses der Zusammenhänge? 

Ich gebe zu, dass ich mich selbst schon oft genug dabei ertappt habe, den nächsten Bitcoin Preis voraussagen zu wollen. Ja, durchaus auch noch andere Dinge. Autsch, ich habe dazu gelernt und schweige hinfort.

Wir Primaten sind nicht nur affektgetrieben, sondern obendrein auch noch Herdentiere.  Mit anderen einer Meinung zu sein, verschafft uns ein warmes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Mit seiner Meinung auf der richtigen Seite zu stehen, setzt dem ganzen noch das Sahnehäubchen der moralischen Überlegenheit auf.

Meinungen sind wichtig, im sozialen Zusammenleben. Der falschen Meinung anzuhängen, kostet Sympathiepunkte. Deswegen musste man die sogenannte Meinungsfreiheit auch ausdrücklich im Grundgesetz verankern. 

Interessiert mich nicht!

Es gehört daher schon allerhand Mut dazu, einfach zu sagen, dass du keine Meinung zu einem Thema hast. Doch wen interessiert schon die gesamte Bandbreite aller Themen, die gerade im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen? 

Leiden wir nicht geradezu unter einer Meinungs Inflation, weil sich jeder bemüßigt sieht, seinen Senf zu allem und jedem zu geben? Ganz gleich, ob ihn das Ding interessiert, oder nicht. Egal, ob er sich intensiv damit beschäftigt hat, oder zum ersten Mal damit konfrontiert wird.

Was bringt das alles, ausser einer Menge Lärm um nichts und einer geballten Ladung sozialen Unfriedens? 

Früher habe ich mich noch gern ins Getümmel geworfen und aus Prinzip nur allzu gerne mit konträren Meinungen provoziert. Inzwischen ist mir meine Lebenszeit zu schade dafür. Immer öfter halte ich meine Klappe.

Die meisten sogenannten Probleme der Welt betreffen mein eigenes Leben nämlich nicht im geringsten. Klar ist alles miteinander verbunden und am Ende würde mich sowohl ein Atomkrieg betreffen, als auch ein radikaler Klimawandel. Doch kann ich mich diesen Entwicklungen wirksam entgegen stellen, könnte ich etwas daran ändern? Nein, das kann ich nicht. Also vergesse ich die Sache und warte einfach ab.

Es ist eine weit verbreitete Illusion, dass viele Meinungen im Gleichschritt einen Umschwung bewirken können. „Wenn wir uns nicht dagegen stellen und für ________ eintreten, wird sich nie etwas ändern!“. Liebe Freunde, ihr könnt eintreten für was auch immer ihr wollt, ihr werdet dennoch nichts erreichen damit. 

Kommt es Euch nicht auch komisch vor, dass ausgerechnet eine linksorientierte Regierungskoalition plötzlich massiv aufrüsten will und dass für einen grünen Minister Atomkraft kein Tabu mehr ist? 

Gut, dass ich mich noch nie für Politik interessiert habe. Statt dessen habe ich lieber dafür gesorgt, dass mich die Politik möglichst wenig betrifft. 

Davon habe ich keine Ahnung

Die nächste Kategorie enthält Dinge, die mich vielleicht sogar interessieren würden, die ich aber einfach nicht verstehe. Wie ich oben bereits angemerkt habe, ist es schon mal schwierig, sich überhaupt qualifizierte Informationen zu beschaffen. Doch selbst wenn das gelingt, wird mein Wissen in sehr vielen Fällen nicht dazu ausreichen, diese überhaupt zu verstehen. 

Zu Umwelt-Themen und zu sozialen Fragen habe ich einfach nicht genügend Basiswissen, um qualifiziert mitreden zu können. Auf der anderen Seite sind mir diese Dinge wiederum nicht wichtig genug, um mich in das Thema einzuarbeiten. 

Also lasse ich es ganz und gebe ehrlich zu, dass ich davon nicht die geringste Ahnung habe. Ich enthalte mich jedes Kommentars und die Welt dreht sich auch ohne mein Zutun weiter.

Es ist enorm befreiend, diesen Satz auszusprechen, es ist als würde ein Teil von der Last dieser Welt von mir abfallen. Denn in der Tat ist es so, dass wir uns mit uNester Meinung selbst einen Teil der Verantwortung für den Lauf der Dinge aufbürden. Das passiert natürlich nur in unserer Einbildung, die Realität läßt sich davon nicht beeindrucken.

Wir möchten zumindest recht behalten, mit dem was wir gemeint haben. Damit ergreifen wir automatisch Partei in einem Spiel bei dem wir nicht einmal Karten in der Hand halten. Wenn wir sehen, dass die Dinge anders laufen, als wir meinen, ist das kein schönes Gefühl. Wir vergegenwärtigen uns unsere Hilflosigkeit und das führt zu Depressionen.

Energie sparen

Dieses ganze Streben nach Meinen und Verstehen kostet ganz schön viel Kraft und bewirkt dennoch nichts. 99% der Fragen dieser Welt betreffen dein Leben nicht im Geringsten. 

Wir verstehen sie nicht und selbst wenn wir sie verstünden, könnten wir dennoch nichts ändern. Dein Leben wird wesentlich glücklicher und entspannter, wenn du all das einfach ignorierst.

Wenn du dir wirklich einmal eine Meinung zu einer Angelegenheit bilden willst, die dich betrifft und die du auch beeinflussen kannst, dann nimm dir viel Zeit und recherchiere gründlich. Am besten schreibst du einen Aufsatz darüber. Schreiben ordnet die Gedanken und diffuse Vorstellungen werden plötzlich glasklar, wenn wir sie in Satzform bringen müssen, ich merke es in diesem Moment.

Frage andere Menschen nach ihrer Meinung zu deinen Überlegungen, versuche deine eigene Argumentation zu kippen. Wenn du dir dann irgendwann ganz sicher, bist, dann „meinst“ du nicht mehr, dann „weißt“ du es einfach! Damit hältst du den Schlüssel zur Lösung deines Problems in der Hand.

Handle aus dem Wissen

Meinungen sind ein beliebtes Accessoire des modernen Menschen, aber völlig nutzlos. Wie wir gesehen haben, entstehen sie auf eine oberflächliche, von Emotionen getriebene Art. Obendrein meistens auf Basis unvollständiger oder komplett falscher Informationen. Die meisten Belange der Welt sind unendlich viel komplexer, als sie zu sein scheinen, was wiederum jede Menge Raum dafür läßt, Meinungen mittels scheinbar einfacher Erklärungen zu manipulieren.

Falle nicht darauf herein, leiste dir den Luxus, dir fundiertes Wissen zu schaffen und treffe deine Entscheidungen auf dieser Grundlage. Meinungen kannst du getrost in den Papierkorb werfen.

Benedikt Lechner

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