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Lerne, nein zu sagen

“Ach kannst du mal bitte schnell?” Wer kennt diesen Satz nicht!

Hinter der harmlosen Frage verbergen sich jedoch nur allzu oft wahre Zumutungen und dein Leben wäre glücklicher, wenn du den Mut aufbringen würdest, darauf mit dem ebenso harmlosen kleinen Wörtchen „nein“ zu antworten.

Sehr wahrscheinlich weißt du jedoch auch, wie schwer es fällt, dieses Wort auszusprechen. Du willst anderen Menschen gerne einen Gefallen tun, auch wenn du dir damit am Ende selbst keinen Gefallen tust.

Wie du mir, so ich dir

Warum fällt es uns so schwer, nein zu sagen? Es liegt daran, dass sich der Grundsatz der Reziprozität im Verlauf der Evolution sehr gut bewährt hat. Im ersten Schritt biete ich etwas an, kooperiert mein Gegenüber, werde ich ebenfalls kooperieren. Passiert das nicht, wenn mein Gegenüber meine Großzügigkeit also ausnutzt, kooperiere ich ebenfalls nicht. So lange, bis vom Gegenüber wieder eine Leistung kommt, dann setzt sich das Spiel fort.

Dieses Verhalten finden wir schon bei den Primaten und es funktioniert bestens. Affenarten, die diese Strategie nicht verfolgten sind ausgestorben. Bei uns Menschen handelt es sich bekanntlich um etwas weiter entwickelte Affen und so haben wir auch das Prinzip der Reziprozität weiter verfeinert.

Der Jurist kennt die Reziprozität als „do ut des“, ich gebe, damit mir gegeben wird. Auf eine Vorleistung wird eine Gegenleistung erwartet. Das ist, grob gesagt, die Basis der Weltwirtschaft. Wer Waren liefert, wird dafür bezahlt. Wer nicht bezahlt, bekommt erst mal keine Ware mehr. Zahlt jemand oft genug nicht, ist sein Ruf ruiniert und niemand möchte mehr Geschäfte mit ihm machen. Kooperation ist also durchaus existenziell.

Genau darin lauert die Gefahr der Reziprozität. Tut uns jemand etwas Gutes, fühlen wir uns dazu verpflichtet, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. 

Mal wieder die Erziehung

Die ist bekanntlich an allem schuld, also auch daran, dass es uns so schwer fällt, nein zu sagen. 

Unsere Eltern und eigentlich die gesamte Erwachsenenwelt haben uns ziemlich schnell klar gemacht, dass ein „nein“ in den meisten Fällen keine akzeptable Antwort ist. Auch wenn wir den ganzen Tag lang keine Lust hatten zum…. Aufstehen, Anziehen, Schule gehen, Hausaufgaben machen, Essen, bis zum Schlafengehen, mussten wir es dennoch tun. Und das auch noch völlig ohne Gegenleistung. Von wegen Reziprozität!

Den Erwachsenen stand ein ganzes Repertoire von Repressalien zur Verfügung, um ihre Sicht der Dinge durchzusetzen. Ein einfacher Klaps, wäre noch am ehesten zu verschmerzen gewesen, doch seit das streng verpönt ist, kommen viel fiesere Manipulationstechniken zum Einsatz. Von Liebesentzug, über Strafdienste, bis zum Versagen der ohnehin knappen Privilegien wie Taschengeld und Freizeit. 

Es blieb nichts übrig, außer sich zu fügen und das war ja meist auch gar nicht verkehrt. Irgendwann haben wir eingesehen, dass manche Pflichten unabänderlich sind. So funktioniert die Welt nun einmal. 

Leider hat sich halt auch fest in unserem Gehirn eingebrannt, dass das Wort „nein“ bei Mitmenschen gar nicht so gut ankommt. 

Es fällt uns schwer, dieses Wort auszusprechen und selbst wenn uns das mal gelingen sollte, plagen uns danach allzu oft Schuldgefühle für diese Entscheidung.

Der soziale Zwang

Irgendwann haben wir es endlich geschafft, die Kindheit zu überstehen und uns „ein Leben aufzubauen“, wie man so schön sagt. Dieses besteht, grob vereinfacht, aus einem Beruf, einer Liebesbeziehung und einem Freundeskreis, doch überall lauern die Reziprozitätsfallen.

Das Prinzip wäre ja nicht verkehrt, solange sich der Wert der ausgetauschten Leistungen in etwa die Waage hält. Im Sozialleben sind sie leider nur allzu oft asymmetrisch verteilt. Je höher der Grad sozialer Abhängigkeit, desto größer werden die Zumutungen, die sich an ein unschuldiges „würdest du mal bitte?“ knüpfen. 

Meist ist dabei die Erhaltung eines Status Quo die einzige Gegenleistung. Oder einfach nur, dass man niemanden enttäuschen will. So wie hier:

Dem Chef, fällt am Freitagnachmittag ein, dass der Kollege Müller dringend Hilfe für seine Präsentation am Montagmorgen benötigt. „Ach Scholz, könnten sie mal bitte dem Kollegen zur Hand gehen?“. Der Freund mit den zwei Doggen, muss dringend seine kranke Mutter besuchen. „Ach Olaf, kannst du bitte Nero und Brutus für ein paar Tage nehmen?“ Und im trauten Heim heißt es: „Ach Schatzi, ich würde so gerne übers Wochenende in dieses wahnsinnig coole Spa-Hotel fahren!“

Was antwortest du wem? Wenn du hier zwei Mal spontan „ja“ sagst, verbringst du das ganze Wochenende im Büro, während Schatzi über eine Scheidung nachdenkt, weil sie zwei riesige Köter Gassi führen muss, anstatt sich Gurkenscheibchen auf die Augen legen zu lassen. Dabei wolltest du selbst doch nur mit ein paar Freunden Motorrad fahren. 

Dummerweise hast du es vorgezogen, niemanden direkt vor den Kopf zu stoßen und das ging gründlich daneben. Zum Dank hattest du ein ödes Wochenende, ohne Motorradtour und obendrein hängt der Haussegen schief. Na bravo!

Auf die richtige Taktik kommt es an

Wie können wir derartigen Fallen entkommen? Dafür gibt es ein paar gute Strategien, denn ein knallhartes „nein“ wäre in allen drei Fällen nicht wirklich angebracht. 

Chefs kann man meist mit einer besseren Idee beeindrucken: „Ich bin der totale Powerpoint Legastheniker, doch der neue Praktikant beherrscht das wirklich gut!“

Dem Freund darf man durchaus sagen: „ Ich mag keine Hunde in meiner Wohnung haben, doch über Google findest du bestimmt ein Hundehotel.“ Eine echte Freundschaft übersteht das, ansonsten hast du einen Schmarotzer weniger am Bein.

Schatzi hingegen begegnen wir mit Empathie: „Ach weißt du, ich mach mir ja so gar nichts aus Spa. Nimm deswegen lieber deine Freundin Susi mit. Dann habt ihr beiden ein ganz tolles Frauenwochenende und ich komme schon alleine klar.“

Das sind drei sozial verträgliche Antworten, die für meisten von uns ein guter Ausweg aus dem Dilemma sozialer Zwänge sein können. 

Dem Chef und anderen höher Gestellten begegnen wir mit Respekt und Konstruktivität.

Freunden gegenüber darf man durchaus Prinzipien vertreten: „So etwas mache ich nie! Weder für dich, noch für sonst jemanden“

In der Familie und in Liebesbeziehungen dagegen, können wir auf Verständnis setzen und einen Kompromiss vorschlagen.

Kompromissloses Ja-sagen hingegen, wird in allen Beziehungen auf Dauer das Gegenteil dessen erreichen, was beabsichtigt war. Die Menschen verlieren den Respekt und ihre Forderungen werden immer dreister. 

Reziprozität beruht auf Leistung Gegenleistung. Man stelle sich einen Kaufmann vor, der immer weiter liefert, obwohl er nie bezahlt wird. Irgendwann ist er bankrott. Wer immer gibt, ohne jemals etwas einzufordern, wird ein unglückliches Leben führen.

Die Kosten- Nutzen Analyse

Die kleinen Taktiken sind gut, doch um das Problem wirklich an der Wurzel anzugehen, solltest du eine kurze Pause machen, bevor du antwortest. 

10 Sekunden, in denen du schnell überlegst, welche negativen Folgen ein Nein haben und welchen Gewinn dir ein Ja bringt. Meist überschätzen wir die Folgen einer Ablehnung nämlich bei weitem! Chefs werden dich nämlich nicht so leicht kündigen und wahre Freunde bleiben auch dann Freunde wenn man ihnen nicht jeden Wunsch erfüllt. Das Gleiche gilt, für diejenigen, die uns am nächsten stehen.

Wer es fertig bringt, darf am Ende der Denkpause durchaus die Frage stellen: „Was ist denn dabei für mich drin?“ oder, noch besser, gleich eine eigene Bitte anbringen. Keiner wird es dir übel nehmen, denn die Reziprozität ist schließlich evolutionär angelegt. 

Du musst es dich nur trauen und schon bald wirst du über die Ergebnisse staunen.

Der Philosoph und Investor Charlie Munger macht sich das Ganze noch einfacher. Er überlegt nur fünf Sekunden, bevor er nein sagt. 90% von allem, was an ihn herangetragen wird, wäre nämlich nicht zu seinem Vorteil. Als Partner von Warren Buffett kann er sich das leisten.

Die digitalen Fallen

Soziale Medien und die Online Welt sind eine wunderbare Sache, doch hier lauern auch die Zumutungen auf Schritt und Tritt. Es ist wundervoll, dass mich Jeder über E-mail, oder Messenger Diensten erreichen kann. Doch ergibt sich daraus automatisch die Verpflichtung, auch möglichst noch zeitnah, zu antworten? Es scheint mir fast so, als hätte sich diese Auffassung durchgesetzt.

 Das hier ist ein besonders dreistes Beispiel. Zuerst kontaktiert mich dieser Mensch über einen Messenger Dienst, was ja noch in Ordnung ist. 

Dann fragt er gleich nach einem Telefonat, möchte also über meine Zeit verfügen, ohne mir zu sagen, worum es geht. Ohne mir einen Vorteil in Aussicht zu stellen.

Als ob das nicht schon genug wäre, will er mir dann auch noch vorschreiben, über welches Medium ich ihm zu antworten habe. 

Natürlich habe ich nicht geantwortet und ein paar Tage später versucht er, mich emotional zu erpressen, indem er mir einen unsympathischen Charakter unterstellt.

Mal ehrlich, wer braucht solche Leute in seinem Leben? 

Wer mich schon ungefragt kontaktiert, sollte mir wenigstens sagen, worum es geht. Womit ich ihm helfen kann, oder welches Anliegen er sonst hat. Dann entscheide ich, ob ich antworte oder nicht. 

Sehr oft handelt es sich ohnehin um Vertreter irgendeines MLM-Vertriebs, die sich an der Kaltakquisition von neuen Opfern über Facebook versuchen. 

Um das Maß voll zu machen erfolgen solche Kontaktaufnahmen auch noch gerne per Sprachnachricht. Eine Sprachnachricht kann ich nämlich nicht mal eben aus dem Augenwinkel überfliegen, sondern ich muss meine Tätigkeit unterbrechen, um sie mir anhören zu können. Hier werde ich also schon gleich beim ersten Kontakt zu einem Verhalten genötigt.

Hinzu kommt, dass Sprachnachrichten meist von Menschen versandt werden, denen es schwer fällt, ein Anliegen in zwei Sätzen zu formulieren. Ich reagiere gar nicht mehr darauf! Wenn ich gut aufgelegt bin, schreibe ich lapidar zurück, das

s es auch eine Diktatfunktion gibt. Meist kommt dann sowieso nichts mehr.

Der Fluch der ständigen Erreichbarkeit

Ich liebe mein iPhone und ich könnte mir mein Leben wirklich nicht mehr ohne vorstellen. Ich könnte mir mein Leben mit dem iPhone aber auch nicht mehr ohne Stummschaltung vorstellen. Das gilt übrigens für alle meine Geräte.

Ich sitze seit einiger Zeit an diesem Artikel, die Gedanken fließen in die Tastatur, ihr merkt es vielleicht am Schreibstil, ich bin „voll im Flow“. Nun stelle man sich vor, dass alle 30 Sekunden ein Banner eingeblendet wird, oder gar ein Ping ertönt. Aus und vorbei mit dem Flow. Ich wurde abgelenkt, von der Mitteilung, dass irgendein Wirrkopf, ein neues Video auf Telegram gepostet hat. Oder von was auch immer.

Alle meine Apps sind auf stumm geschaltet, das ist in meinen Augen ein lebenswichtiges Dauer-Nein! Das Gleiche gilt für Anrufe, niemand wird mich je erreichen können, außer ich habe zufällig das Telefon in der Hand und gerade nichts besseres zu tun.

Denn, mal ganz ehrlich, was. ist schon so wichtig, dass es nicht auch eine Stunde warten könnte? Lasst es euch bitte von jemandem sagen, der über die Hälfte seines Lebens analog verbracht hat: Nichts ist so wichtig wie die eigene Lebenszeit.

Geht es um digitale Erreichbarkeit, gilt für mich der Grundsatz des Charles Munger: 90% brauche ich nicht! Es ist mir keine Antwort wert. 

Nein ist ein ganzer Satz

Jasager mögen aus den genannten Gründen durchaus beliebt sein, weil man sie nach Strich und Faden manipulieren und ausbeuten kann. Nur, wer möchte schon von Menschen umgeben sein, die ihn nur ausnutzen?

Überlege dir daher jedes „Ja“. Denn jedes Ja kostet dich ein wenig deiner kostbaren und unersetzlichen Lebenszeit. Du hast es verdient, dafür wenigstens eine Gegenleistung zu erhalten.

Übe dich, im freundlichen Nein sagen und du wirst schon bald nicht nur über mehr Zeit verfügen, sondern auch reichere Beziehungen zu deinen Mitmenschen haben.

Benedikt Lechner

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